Der deutsche Wald kann mehr als rauschen

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Märchen

Kapitel in: Märchen

In alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat

DornröschenDornröschen

Der alte Wald der Märchen, der Es-war-einmal-Wald, in dessen wegloser Undurchdringlichkeit sich Zauber und Wunder vollzogen - er wurde von der Welt vereinnahmt. Der »große, schöne Wald« ist nicht mehr Eigentum des Märchenkönigs Drosselbart; er gehört dem Land, der Gemeinde, der Öffentlichkeit, hat Nutz- und Freizeitwert. Märchen

In alten Zeiten, »wo das Wünschen noch geholfen hat«, lag der Wald nahe bei der menschlichen Siedlung: Das Wunschdenken hatte keinen weiten Weg zum Ort der Erfüllung. Welt und Wald waren durch den Waldrand getrennt und verbunden. Die Grenzjäger waldnaher Gewerke - Förster und Jäger, Köhler und Holzhauer - spielen daher im alten Volksmärchen eine wichtige Rolle. Der Vater des Marienkindes ist Holzhauer; er schaut in den Wald. Ähnlich steht es mit Hansel und Gretel, mit Rotkäppchen, Daumesdick, Schneeweißchen und Rosenrot, mit dem Eisenhans.

Viele Märchenfiguren (wie übrigens auch zahlreiche Helden und Heldinnen der mittelalterlichen Ritterdichtungen) wachsen im Wald auf. Oft allerdings müssen sie ihn auch erst betreten, und die Grenzüberschreitung leitet das Abenteuer ein: Da geht jemand in den Wald, um Holz zu holen, Kräuter zu sammeln oder Beeren zu pflücken. Er begegnet einem Wesen, einer Macht, deren Eingreifen sein Geschick von Grund auf wandelt. Oder er erhält Aufgaben, die zu lösen sind, Pflichtzuweisungen, an deren Erfüllung sich erweisen muss, ob er scheitert oder reift.

So trifft der Holzhauer (das steht im Märchen »Marienkind«) im Wald auf die Muttergottes. »Du bist arm und bedürftig«, sagt sie, »bring mir dein Kind, ich will es mit mir nehmen, seine Mutter sein und für es sorgen.«

Der Mann gehorcht. Dem Kind werden im Reich der Jungfrau Maria glückliche Tage zuteil. Bald aber treibt der Wissensdurst das aufblühende Mädchen dazu, die verbotene 13. Tür des Himmelssaales zu öffnen. Es leugnet die Tat und wird wieder aus dem Himmel verstoßen: in den dichtesten Wald. Dort verbringt es sieben Jahre in der Höhle eines alten Baumes. Ein Königssohn, der im Walde jagt, erlöst es aus Einsamkeit und Leid.

In »Des Teufels rußiger Bruder« trifft der abgedankte Soldat im Wald ein kleines Männlein; es ist der Teufel. Er nimmt den Soldaten in Lohn, lässt ihn Heizerarbeit in der Hölle verrichten und zahlt ihn nach sieben Jahren aus. Als reicher Mann kehrt Hans, der Soldat, in die Welt zurück.

»Hansel und Gretel« erfahren ihr Schicksal im Wald. Die Hexe, das Gegenstück zur bösen Stiefmutter, bewirkt ihre Wandlung. Hansel soll »fett« werden. Dann will sie ihn »umbacken«, wie es in einem der Grimmschen Texte ursprünglich heißt. In der heranwachsenden Gretel reift der Mut zur befreienden Tat, mit der sie die Hexe, die Widersacherin, überwindet und selbst zum »Umbacken« in den heißen Ofen schiebt.

»Rotkäppchen« empfängt auf ihrem Waldgang wesentliche Lebenslehre: Mit Hilfe des Jägers entrinnt sie dem Verderben und verspricht sich selbst, nie mehr vom Wege abzuweichen.

Verwandlung und Entwandlung von »Schneewittchen« und »Dornröschen« vollziehen sich in der Hut des Waldes; sein Zauber und seine Wunder beschützen auch »Schneeweißchen und Rosenrot«. »Brüderchen und Schwesterchen« fühlen sich ebenfalls im Wald geborgen: »Und hätte das Brüderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, es wäre ein herrliches Leben gewesen.«

Im Wald vollzieht sich sowohl Verzauberung als auch Entwandlung vom Zauber, der im Wald bewirkt wurde: also Befreiung und Erlösung. In manchen Märchen ist die rettende Tat dem Herrn des Waldes aufgegeben, dem jagenden Adelsherrn, dem König oder Königssohn, der unbeschadet der lauernden Gefahr entgeht. Der Held des Märchens befreit das Marienkind, oder er küsst Dornröschen wach.


Hansel und Gretel - Holzschnitt von Ludwig Richter

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